Florian Berner hat die sechs Cellosuiten von Johann Sebastian Bach auf CD eingespielt
Es gibt Stücke des musikalischen Kanons, denen begegnet man immer wieder, manchmal mit Zufall, manchmal mit Hör- oder Spielabsicht. Dann sind da aber auch Werke, die so etwas wie Magie besitzen und ein Eigenleben als Begleitung im Leben entwickeln, es sogar zu spiegeln oder zu beeinflussen vermögen. Solche Stücke sind rar, aber ich denke, die Cellosuiten von Johann Sebastian Bach gehören unbedingt dazu. Und so trifft man die Suiten dann auch in Konzerten an exponierten Stellen an oder die sie sind gleich in einen Zeitbezug gestellt – erwähnt sei etwa Rostropowitschs berühmtes Recital an der Berliner Mauer.
Als der Wiener Cellist Florian Berner im Jahr 2020 ein paar Wochen in der Toskana verbringt, erscheint die verordnete Auszeit durch die Pandemie gleichsam potenziert, doch eine Kirche im Dorf reizt ihn, sich dort mit dem Cello und Johann Sebastian Bach zu beschäftigen. Ein Kosmos eröffnet sich und Berner beschließt sein Spiel aufzunehmen. Die Wanderung durch die Landschaft wird zu einer Wanderung durch die Welt von Bach, an der wir jetzt hörend teilnehmen können, denn es wurde schließlich eine CD mit allen sechs Suiten daraus.
Denn nachdem er allerdings in der Toskana die ersten drei Suiten eingespielt hatte, war Berner klar, dass die „Familie“ nur mit allen sechs Suiten komplett sein kann. Anstelle eines Schnellschusses wartete der Cellist auf den richtigen Zeitpunkt und fand den passenden Raum im Bach-Saal Köthen, am Entstehungsort der Suiten. Auf diese Weise blieb der Aspekt der Wanderung erhalten, sowohl durch die Suiten selbst, aber auch durch die Zeit, die drei Jahre später mit weiteren Erfahrungen gefüllt ist.
So sollten Hörer also keine glatte, analytische oder von Perfektionsdrang durchdrungene Aufnahme erwarten, sondern vielmehr eine weit schwingende Erzählung, die sich auch Suite für Suite anders gibt. Ähnlich wie man bei einem Gespräch in verschiedene Aspekte eines Themas gerät, wird man hier auch beim Hören mal freundlich folgen und zustimmen, an anderen Stellen staunen oder gar in Widerspruch geraten. Das alles läßt Bachs Musik zu und Berner begibt sich natürlich hier in eine Situation ohne Visier. Sein Spiel, und damit sein Wortschatz ist aber so reich, dass man auf vielen Ebenen der Musik getragen wird und spannende Impulse erfährt. Und anstelle theatralische Ornamentik in den Vordergrund zu stellen oder die Extreme zu kitzeln ist es der Fluss der Musik selbst, auf den Berner vertraut, hörbar wird das beispielsweise in Bourée und Gigue der 3. Suite in C-Dur.
Einzigartig ist bei dieser CD, dass man beim Einlegen schon entscheiden kann, auf welche Weltenseite man sich begibt, denn der raumklangliche Unterschied ist zwischen den ersten drei Suiten und den letzten drei auf jeden Fall wahrnehmbar. Aber es sind eben legitime Farben, die sich durch Bach und Berner offenbaren. Der zuerst aufgenommenen zweiten Suite in d-Moll wohnt jedoch auch ein besonderer Zauber der Initiation inne – aber das hören Sie am besten selbst…
Johann Sebastian Bach, Sechs Cello-Suiten
Florian Berner, Cello (Label Perfect Noise, 2023)